Ein Eingriff zwischen Routinemaßnahme und Intimitätsverletzung
(Masterthese 2012 von Elisabeth Rakos - Abstract)
Hintergrund: Die vaginale Untersuchung während der Geburt ist eine wichtige Hebammenkompetenz und üblicher Bestandteil der geburtshilflichen Betreuung.
Insbesondere durch die Einführung der Kontrolle des Geburtsfortschritts mittels Partogramm ist sie zur Routinemaßnahme geworden. Dass jede vaginale Untersuchung ein Eingriff in die Intimsphäre einer Gebärenden ist und als solcher möglicherweise unerwünschte Wirkungen hat, wird häufig nicht bedacht.
Ziele: Zunächst galt es herauszufinden, wie die vaginale Untersuchung als Diagnoseinstrument in Hebammenlehrbüchern dargestellt ist. Die Aufarbeitung der aktuellen Forschungsliteratur sollte dann eine differenziertere und kritische Betrachtungsweise dieser Maßnahme ermöglichen. Weiters sollte die Frage beantwortet werden, wie Frauen vaginale
Untersuchungen während der Geburt erleben und ob diese das Geburtserlebnis prägen.
Vorgehensweise: Deutsche und englischsprachige Hebammenlehrbücher wurden hinsichtlich ihrer Darstellung der vaginalen Untersuchung verglichen. Im Rahmen einer Literaturrecherche wurden anschließend die zum Thema gefundenen Studien einander gegenübergestellt. Mittels qualitativer leitfadengestützter Interviews wurden zehn Frauen dazu befragt, wie sie vaginale Untersuchungen während der Geburt erlebt hatten. Über ein Expertinneninterview fließt die Perspektive einer Hebammenforscherin mit ein.
Ergebnisse: Die Darstellung der vaginalen Untersuchung in den gängigen Hebammenlehrbüchern ist verkürzt. Der Intimitätscharakter der Untersuchung und die psycho-sozialen Fähigkeiten, die dieser Eingriff erfordert, werden nur unzureichend thematisiert. In der Forschungsliteratur mehren sich Arbeiten, die dem Paradigma des Geburtsfortschritts und
seinen Auswirkungen auf das geburtshilfliche Handeln kritisch gegenüber stehen. Auch dass vaginale Untersuchungen intimitätsverletzenden Charakter haben und den Geburtsprozess stören können, ist klar herauszulesen. Die Interviews ergeben, dass die befragten Frauen routinemäßige vaginale Untersuchungen als notwendige Maßnahmen akzeptieren, diese
jedoch häufig als unangenehm, manchmal als schmerzhaft, mitunter sogar als traumatisierend empfinden. Vaginale Untersuchungen vermitteln häufig ein Gefühl von Zeitdruck, sind Grundlage für geburtshilfliche Entscheidungen und prägen auch insofern das Geburtserlebnis entscheidend. Aufklärung im Sinne eines shared decision making erfolgte in den vorliegenden Inteviews nicht.
Schlussfolgerungen: Die vaginale Untersuchung unter der Geburt ist nicht als Routinemaßnahme sondern als Intervention zu verstehen, die als solche einer Indikationsstellung bedarf, d.h. Indikationen und Kontraindikationen hat und ein achtsames
Vorgehen erfordert. Das macht einen differenzierteren und sensibleren Umgang mit derselben erforderlich.
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